Interessengemeinschaft Gertrudenberger Loch e.V.
 

Phantomkarst (ghost rock)

Der „Phantomkarst“ oder „ghost rock“ im Raum 17 des Gertrudenberger Loches ist eine Vorform einer Verkarstungserscheinung, bei der es erst spät eines offenen Hohlraums bedarf.

Der Düsseldorfer Diplom-Geologe und Höhlenforscher Stephan Marks beschrieb diese Strukturen am Beispiel des Gertrudenberger Loches erstmals für den deutschen Sprachraum.

Die Entstehung eines Phantomkarstes folgt nach QUINIF & VERGARI (1997) dem nachfolgenden Schema:
Eine grundlegende Voraussetzung ist ein karbonatischer Gesteinskörper, wie im vorliegenden Fall die Kalksteine des Oberen Muschelkalks, die sich während ruhiger, geologischer Zeiten unter dem Grundwasserspiegel befanden.
Nun fließt Wasser naturgemäß von einem höheren Punkt zu einem niedrigeren Punkt, d.h. es folgt dem hydrologischen Geländegefälle in Richtung einer Vorflut oder einem Fluss, soweit ein Gefälle vorhanden ist. Wasser, das nicht fließt, das mindestens nicht mit einem geringsten Gefälle durch ein Grund- oder Deckgebirge migriert (wandert), kann nicht wesentlich lösen und so auch keine auffälligen Lösungserscheinungen bewirken.

Im ersten Schritt des QUINIF’schen Phantomkarst-Modells wird zunächst das durch Wasser lösliche Calciumcarbonat (CaCO3) in dem umgebenden Gestein entlang von Diskontinuitätsflächen (Klüfte, durchlässigere Zonen im Gestein) gelöst; das Calciumcarbonat bleibt im stagnierenden Wasser in Lösung.

Von dem Zeitpunkt an, an dem eine aufsteigende Morphologie dieser Oberfläche dieses bisher ebenen Gebietes durch tektonische Einengung mittels seitlichem Druck das Wasser zur Bewegung anzuleiten beginnt, versucht das Wasser sich entlang von diesen Diskontinuitäts-
flächen durch das Gestein zu bewegen.

Die Gesteinsstrukturen sedimentärer, tektonischer und paläontologischer Art (Fossilien) bleiben bei diesen Lösungsvorgängen im Wesentlichen erhalten , und die unlösbaren Tonminerale verbleiben an Ort und Stelle. Diesen Gesteinslösungskörper bezeichnet QUINIF als Isoalterit.

Wird aus gebirgsbildenden Gründen die Lagerung durch relative Hebung oder Senkung des Gesteinskörpers verändert, beginnt das Wasser zu migrieren: Karbonate werden abgeführt, Tonminerale aus über- oder unterlagernden Schichtpaketen hinzugeführt und der Tongehalt erhöht. Wegen seiner hohen oder fast reinen Tongehalte kann dieser Isoalterit auch als Tonmineral „Smektit“ (auch „Smectit“) bezeichnet werden.

Der alterierte Gesteinskörper vergrößert sich in geologischer Zeit unregelmäßig nach Außen mit einer in der Regel scharfen Abgrenzung zum primären Gesteinsverband, bevorzugt in Richtung mit und aus der Wanderung des Wassers – in dieser Phase findet noch keine Hohlraumbildung statt.

Die Gesteinsfarbe ändert sich von einem meist grau gefärbten Kalkstein durch die Anreicherung der Tonminerale zu einem Gestein mit überwiegend warm- bis gelbbraunen Farben der verwitterten, alterierten Bereiche.
„Teilweise sind sogar gelblich gefärbte, konzentrische Linien zu erkennen, die vom Äußeren eines jeden Gesteinsstückes ins Innere desselben vordringen. Hier ist die Phantomisierung noch nicht vollständig abgeschlossen.“ (MARKS 2012). Diese Ringe sind als Liesegang’sche Strukturen zu bezeichnen.

Das Wasser bildet aufgrund seiner Kapillarkräfte das Stützmedium der alterierten Gesteinsbereiche. Nimmt, bedingt durch eine Erhöhung der hydrodynamischen Energie, der stützende Wasserdruck ab, beginnt das Wasser verstärkt zu migrieren, und es kommt zu einem Zusammenbrechen der alterierten Gesteinsbereiche. Hierdurch bildet sich aus dem Isoalterit der Alloalterit , wobei letzterer sich auch dann nicht mehr am ursprünglichen Ablagerungsort befindet.

Für die Erhöhung der hydrodynamischen Energie postuliert QUINIF eine Veränderung der Geländemorphologie mit höherem und tieferem Niveau, im Zuge dessen die Ausbildung einer Vorflutsituation mit gleichzeitig einem Entwässerungssystem zuströmenden Wassers entsteht.
Als Ursache reicht eine horizontale Beanspruchung eines großräumigen Schichtkörpers durch tektonischen Druck aus.

Für die Ausbildung der tektonischen Diskontinuitätsflächen in Osnabrück sind kleinere tektonische Achsen und eine ausgeprägte von Nordwest nach Südost (=herzynisch) durch eine nördlich von Osnabrück verlaufende Verwerfungslinie verantwortlich, die als „Piesberg-Pyrmonter Achse“  bekannt ist. Sie sind das Ergebnis einer saxonischen Bruchschollen-, Dehnungs- und Zerrungstektonik , verursacht durch die Kollision des nordafrikanischen Kontinentes gegen den europäischen Kontinent.

Das Isoalterit als Reliktsediment sackt zusammen und formt als Alloalterit U- oder V-förmige Lagen, die die ehemaligen Schichtflächen nachzeichnen.

Am Top der Reliktsedimente bildet sich durch Zusammenbrechen der Reliktmasse im Kontakt zu anderen Gesteinsbereichen ein erster offener Gesteinshohlraum. Erst ab diesem Zeitpunkt ist ein Fliessen des Wassers möglich und das verbliebene geschwächte Gestein kann durch Erosion (etwa durch Wasser) entfernt werden.

Abb.: Phantomkarst auf senkrecht stehender Kluft in den Gesteinen der Tonplattenfazies mit darüberliegendem Hohlraum. Fotograf: Stephan Marks.
MARKS, Stephan: Phantomkarst im Muschelkalk des Gertrudenbergs von
Osnabrück, Niedersachen. In: Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher, 53 (3),
München 2012, S. 71.


Von jetzt an kann man von Verkarstung sprechen.

Auch an weiteren Stellen im Gertrudenberger Loch sind Phantomkarsterscheinungen erkennbar. Diese finden sich immer in den über dem Trochitenkalk liegenden hangenden Gesteinen der Tonplattenfazies. Dort wanderte die Phantomisierungsfront aus den leichter umwandelbaren Gesteinen der Tonplattenfazies in die entlang von senkrechten Klüften befindlichen Gesteine des Trochitenkalkes und führte zu einer U- oder V-förmigen Bildung; am Top der Kluftbildung bildete sich ein erster Hohlraum.